Der lange Frühling der Frauen

Von Claudia Mende · · 2021/Mai-Jun
„Freiheit, Ägypten“: Mit dem Arabischen Frühling hat auch ein Kampf um veränderte Geschlechterrollen eingesetzt. © Claudia Mende


Wie sich die Frauenbewegung im arabischen Raum zehn Jahre nach der sogenannten Arabellion verändert hat.

Frauen zu kontrollieren, das sei der Zweck von Religionen. Das Christentum wie der Islam würden mit ihren patriarchalen Strukturen nur die Interessen der Männer bedienen. Davon gab sich die ägyptische Schriftstellerin Nawal El Saadawi in einem Gespräch mit dem deutschen Nachrichtenmagazin Spiegel im Jahr 2012 überzeugt.

In rund 50 Büchern schrieb sie gegen die Unterdrückung der Frauen in der arabischen Welt an. Ende März 2021 ist die streitbare Ikone der arabischen Frauenbewegungen, die sich 2011 auch den tagelangen Protesten auf dem Tahrir-Platz in Kairo anschloss, 89-jährig gestorben.

Mit der „Arabellion“ vor zehn Jahren bekam auch die Frauenbewegung in der ganzen Region Auftrieb. Aber was ist zehn Jahre nach dem historischen Umbruch in der arabischen Welt von dem Kampf für Frauenrechte geblieben?

Die regionale Bandbreite ist groß. Während in Tunesien auch vor 2011 schon weitgehende rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau herrschte, dürfen Frauen in Saudi-Arabien erst seit 2018 Autofahren oder alleine reisen.

In der gesamten Golfregion sind Frauen einem männlichen Vormund unterstellt, während Marokko, Tunesien und Algerien diesen „wali“, übersetzt Vormund, längst gestrichen haben. Sozial besteht eine große Kluft zwischen Stadt und Land, zwischen gebildeten Eliten und Frauen, die etwa als Landarbeiterinnen oder in Fabriken arbeiten und häufig noch Analphabetinnen sind.

Für die heute 54-jährige Ingenieurin Fatema El Shafee (der Name ist geändert) aus der Stadt Assiut in Mittelägypten war die Arabellion 2011 auch ein Aufbäumen gegen traditionelle Rollenmuster: „Vor 2011 haben ägyptische Frauen weder politisch noch im sozialen Leben eine Rolle gespielt. Manchmal durften wir noch nicht einmal über unser eigenes Leben bestimmen,“ sagt die Ägypterin.

Das Leben einer ägyptischen Frau ihrer Generation hätte darin bestanden, zu heiraten, Kinder zu bekommen und Geld zu verdienen. Ihr Einkommen sollte sie ausschließlich für die Belange der Familie ausgeben, dabei sämtliche Hausarbeit übernehmen und sich um die Schulkarriere der Kinder kümmern. „Das alles ohne jegliche Anerkennung oder Mitspracherechte“, so El Shafee. „2011 haben die jüngeren Frauen dann gesagt, jetzt ist Schluss, wir haben auch Rechte und ihr Männer müsst uns endlich wertschätzen.“

Tabus ansprechen. Politisch gesehen konnten nach 2011 nur in Tunesien Freiheitsrechte verankert und der Weg zur Demokratie eingeschlagen werden (vgl. Beitrag „Zwischen Krise, Wut und neuen Freiräumen“ in Südwind-Magazin 3-4/2021). Aber gesellschaftlich hat die Arabellion in der gesamten Region Veränderungen angestoßen oder beschleunigt.

Bisher totgeschwiegene Probleme wie Gewalt gegen Frauen kamen ans Tageslicht, Frauen fordern sexuelle Selbstbestimmung, ein Ende männlicher Bevormundung, mehr politische Teilhabe.

Familienbilder und Geschlechterrollen ändern sich. Der größte Wandel passiert wohl in den Köpfen der Frauen selbst: Die jüngere Generation erwartet mehr vom Leben als ihre Mütter.

Gerade beim Thema Gewalt gegen Frauen sind Fortschritte erkennbar: Vorher ein gesellschaftliches Tabu, ist das Problem seit 2011 in der Öffentlichkeit präsent. Aktivistinnen drängen auf besseren rechtlichen Schutz, Frauen brechen ihr Schweigen und zeigen Täter an, machen ihre Schicksale öffentlich.

Allerdings hat die Gewalt gegen Frauen in den arabischen Staaten wohl eher noch zugenommen. Die gestiegene Gewalt sei eine direkte Reaktion darauf, dass Frauen zunehmend öffentlich präsent sind, meint die marokkanische Universitätsprofessorin Fatima Sadiqi. „Der öffentliche Raum war traditionell Männern vorbehalten,“ sagt sie.

Jetzt aber seien Frauen im Beruf, in der Freizeit, in der Politik sichtbar. „Das führt zu aggressiven Gegenreaktionen vor allem in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit unter jungen Männern sehr hoch ist“, so Sadiqi. „In unserer Gesellschaft gilt immer noch das Ideal des Ernährers, aber angesichts der schlechten Wirtschaftslage können Männer diese Rolle nicht mehr ausfüllen.“

Meilensteine. Immerhin wurden in einigen Ländern bessere Rahmenbedingungen geschaffen, um Frauen vor Gewalt zu schützen: In Jordanien, Jemen und Libanon wurden nach 2016 frauenfeindliche Gesetze abgeschafft, nach denen Vergewaltiger straffrei ausgehen, wenn ihre Opfer in eine Ehe einwilligen.

Die Strafen bei sogenannten „Ehrenmorden“ wurden verschärft. Jetzt müssen die Täter mit langen Haftstrafen rechnen, teilweise erhalten gefährdete Frauen besseren Schutz, etwa in Frauenhäusern.

Tunesien hat auch hier die progressivste Rechtslage. 2017 wurde das „Gesetz 58“ verabschiedet. Es wurde einstimmig vom nationalen Parlament in Tunis verabschiedet und stellt alle Formen von Gewalt gegen Frauen unter Strafe.

In Umfragen geben immer noch zwei Drittel der Tunesierinnen an, sexuelle Belästigung zu erfahren und die Gesellschaft neigt noch immer dazu, den Opfern die Schuld an solchen Vorfällen zu geben. Aber das Gesetz ist ein Meilenstein und hat jetzt schon das Bewusstsein vieler Frauen und Männer verändert.

In Ägypten stuft seit 2014 ein Gesetz sexuelle Belästigung überhaupt als Straftat ein. 2018 verurteilte die Al-Azhar-Universität in Kairo, die wichtigste Institution des sunnitischen Islam, sexuelle Belästigung – und zwar ausdrücklich unabhängig davon, wie eine Frau gekleidet ist.

Das ist wichtig, denn häufig müssen sich Betroffene anhören, sie hätten Übergriffe durch Kleidung oder Verhalten provoziert.

„In Kairo und den Großstädten hat sich das Bewusstsein verändert,“ meint die Ingenierin El Shafee, aber in den ländlichen Gebieten würde das noch dauern. Das liege auch an den harschen Lebensbedingungen, betont die Ägypterin: Die meisten Menschen im ländlichen Ägypten lebten in bitterer Armut.

Rebellion an der Hauswand: „Aufstand der arabischen Frauen“ lautet die Botschaft hier in Kairo. © Claudia Mende

Politische Macht. Und wie sieht es mit der politischen Repräsentation von Frauen aus? In den Parlamenten ist der Anteil weiblicher Abgeordneter gestiegen, am höchsten ist er in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo mehr als die Hälfte von ihnen weiblich ist. Die Abgeordneten werden zum Teil ernannt und zum Teil gewählt. Allerdings hat das Emirate-Parlament keinen Einfluss auf Regierungsgeschäfte und ist nur ein beratendes politisches Organ.

Trotzdem: In Österreich liegt der Anteil der Frauen im Nationalrat im Vergleich bei rund 40 Prozent. Die konservative Gesellschaft am Golf schwankt zwischen überkommenen Rollenmustern und moderner Entwicklung. Denn gleichzeitig etwa hat Dubais Herrscher Scheich Maktum seine widerständige Tochter Prinzessin Latifa einfach weggesperrt. Ihr vom britischen Sender BBC ausgestrahlter Videohilferuf ging Mitte Februar um die Welt und wirft ein Licht auf die Lage der Menschenrechte am Golf.

Immer noch mischen sich arabische Männer in das Leben von Frauen ein, wollen bestimmen, wie sie sich kleiden, welchen Lebenspartner sie wählen oder wie sie ihre Freizeit verbringen. Doch eine junge Generation von Frauen ist herangewachsen, die, gut ausgebildet und selbstbewusst, auf ihre Rechte pocht und sich nicht mehr zum Schweigen bringen lässt.

Claudia Mende ist Journalistin und berichtet aus arabischen Ländern sowie zu Migrationsdebatten und Integration in Europa.

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